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Häufige Fragen zu medizinische Leitlinien – das Wichtigste kurz und knapp

Was sind medizinische Leitlinien? Welche Arten von Leitlinien gibt es? Wie werden sie klassifiziert und wo findet man aktuelle Leitlinien? Wir geben Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Wissenschaftliche Beratung:

Corinna Schaefer, Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin

Was sind medizinische Leitlinien? Welche Arten von Leitlinien gibt es? Wie werden sie klassifiziert und wo findet man aktuelle Leitlinien? Wir geben Antworten auf die wichtigsten Fragen.

 

Wissenschaftliche Beratung:

Corinna Schaefer, Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin

Was sind medizinische Leitlinien?

Medizinische Leitlinien fassen systematisch den aktuellen Stand des Wissens aus Wissenschaft und Praxis zu einer Erkrankung, Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten zusammen. Sie bewerten unter methodischen und praxisorientierten (klinischen) Gesichtspunkten, wie sicher dieses Wissen ist. Auf dieser Grundlage beschreiben medizinische Leitlinien ein empfohlenes Vorgehen für medizinisches Fachpersonal.

Was sind Patientenleitlinien?

Patientenleitlinien übertragen die für Betroffene wichtigen Empfehlungen aus den medizinischen Leitlinien in eine allgemeinverständliche Sprache. Sie geben zudem Hintergrundinformationen zum Krankheitsbild. Fachbegriffe werden erklärt. Oft enthalten Patientenleitlinien auch Adressen und Links zu weiterführenden Hilfsangeboten.

Leider gibt es nicht zu jeder medizinischen Leitlinie eine Patientenleitlinie. Aktuell sind zum Beispiel zu den Nationalen Versorgungsleitlinien (NVL) Asthma und COPD sowie zur S3-Leitlinie Lungenkarzinom jeweils Patientenleitlinien verfügbar.

Wo werden medizinische Leitlinien veröffentlicht?

Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) koordiniert die Entwicklung deutschsprachiger Leitlinien. Sie unterhält das AWMF-Leitlinienregister, in das sie deutsche Leitlinien nach einer formalen Qualitätsprüfung aufnimmt. Darin können alle Interessierten deutschsprachige Leitlinien suchen, ansehen und kostenlos herunterladen. Gibt es eine Patientenleitlinie, ist auch sie hier verfügbar.

Welche Leitlinien-Klassen gibt es?

Es gibt international einheitlich definierte Qualitätskriterien, die medizinische Leitlinien erfüllen sollen. Auf Basis dieser Kriterien teilt die AWMF vier Klassen ein:

Bezeichnung

Wie kommt die Leitlinie zustande?

S1: Handlungsempfehlung von einigen Fachleuten

Beratung/ Diskussion durch Fachleute einer einzelnen medizinischen Fachrichtung, kein strukturiertes Verfahren

S2k: Konsensbasierte Leitlinie

Interdisziplinäres Gremium aller an der Behandlung beteiligten Berufsgruppen sowie Betroffenenvertreter einigt sich in strukturiertem Verfahren auf Empfehlungen

S2e: Evidenzbasierte Leitlinie

Empfehlungen beruhen auf systematischer Recherche, Auswahl und Bewertung der Literatur, werden aber nur durch eine einzelne Fachdisziplin entwickelt.

S3: Evidenz- und konsensbasierte Leitlinie

Interdisziplinäres Gremium entwickelt die Empfehlungen in einem strukturierten Verfahren und auf Grundlage einer systematischen Recherche, Auswahl und Bewertung der Literatur

Die höchste Qualität haben Leitlinien der Klasse S3. Auch Nationale Versorgungsleitlinien gehören in diese Gruppe.

Was sind Evidenz- und Empfehlungsgrade?

S2e- und S3-Leitlinien sowie Nationale Versorgungsleitlinien gelten als evidenzbasiert. Sie erfassen und bewerten die Evidenz systematisch. Diese Bewertung setzen sie in ein Verhältnis mit den daraus abgeleiteten Empfehlungen. Eine höhere Evidenz führt zu einer stärkeren Empfehlung.

Der Evidenzgrad – auch Evidenzstärke oder Evidenzklasse genannt – ergibt sich aus der Qualität der zugrundeliegenden Studien. Dabei werden zum Beispiel die methodische Qualität und die Aussagesicherheit der wissenschaftlichen Untersuchungen bewertet.

Basierend auf dieser Bewertung können mit unterschiedlichen Strategien und Instrumenten Evidenzgrade festgelegt werden.

Die meisten Leitlinien in Deutschland gehen dazu über, nicht mehr den Evidenzgrad anzugeben, sondern die Aussagesicherheit nach GRADE. Dabei spielen neben der Qualität beziehungsweise dem Verzerrungsrisiko der Studien auch andere Fragen eine Rolle:

  • Wie präzise und eindeutig sind die Ergebnisse?
  • Gibt es in Studien widersprüchliche Ergebnisse?
  • Passen die Studien auf die klinische Fragestellung, sind die Ergebnisse übertragbar?

Zu manchen klinischen Fragen gibt es eindeutige Antworten, das heißt, Evidenz mit hoher Aussagesicherheit. Und zu manchen Fragen gibt es mehr Unsicherheit, beispielsweise, weil Studien schlecht gemacht sind, weil sie widersprüchliche Ergebnisse haben oder Ergebnisse nicht übertragbar sind.

Aus den Evidenzgraden beziehungsweise der Aussagensicherheit nach GRADE werden Empfehlungsgrade abgeleitet. Dabei gilt: Je stärker ein Empfehlungsgrad, desto sicherer ist sich die Leitliniengruppe, dass die meisten Betroffenen einen Vorteil haben. Und desto besser müssen Ärzt:innen begründen können, wenn sie im Einzelfall davon abweichen.

Folgende Aspekte gehen in den Empfehlungsgrad ein:

  • Wie ist die Aussagesicherheit der Evidenz?
  • Wie relevant sind die gemessenen Endpunkte und wie groß / relevant sind die Effekte?
  • Wie ist das Nutzen-Schaden-Verhältnis?
  • Welche Rolle spielen unterschiedliche Präferenzen?
  • Gibt es versorgungspraktische Hürden?
  • Gibt es wichtige juristische oder ethische Aspekte?

Die Empfehlungsgrade lassen sich in der Leitlinie nachlesen. Sie sind aber auch an den Formulierungen der einzelnen Empfehlungen erkennbar, wie an dem Beispiel des Graduierungsschemas der AWMF deutlich wird:

Dreistufiges Graduierungsschema von Empfehlungen

Empfehlungsgrad

Beschreibung

Formulierung im Text

A

Starke Empfehlung

Soll/Soll nicht

B

Empfehlung

Sollte/Sollte nicht

0

Offene Empfehlung

Kann erwogen/verzichtet werden

 

Zweistufiges Graduierungsschema von Empfehlungen nach GRADE:

Beschreibung

Formulierung

Starke Empfehlung

Wir empfehlen/Wir empfehlen nicht

Bedingte Empfehlung

Wir schlagen vor/ Wir schlagen vor, dass…nicht

Welche medizinischen Leitlinien gibt es zu Lungenerkrankungen?

Es gibt eine Vielzahl von Leitlinien, die sich mit der Diagnostik, Behandlung und Prävention von Lungenerkrankungen beschäftigen. Sie werden von den entsprechenden Fachgesellschaften erstellt und herausgegeben. Die Nationalen Versorgungsleitlinien (NVL) werden vom NVL-Programm in Trägerschaft der Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) erarbeitet.

Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. (DGP) ist Herausgeberin vieler medizinischer Leitlinien – teils auch in Zusammenarbeit mit anderen Fachgesellschaften. Da Lungenerkrankungen sehr vielfältig sind und für ihre Behandlung häufig mehrere medizinische Fachdisziplinen zusammenarbeiten, gibt es auch andere Fachgesellschaften, die entsprechende Leitlinien veröffentlichen.

So gibt es beispielsweise auch Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin e.V. (DGSM), der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e.V. (DEGAM) oder der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e.V. (DGAI), die Lungenerkrankungen betreffen.

Quellen

  • Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) e.V.: Offizielle Leitlinien (Letzter Abruf: 07.12.2023)
  • Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) e.V.: Regelwerk (Letzter Abruf: 07.12.2023)
  • Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung und Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (Hrsg.): Über Leitlinien (Letzter Abruf: 07.12.2023)
  • Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung und Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (Hrsg.): Über das NVL-Programm (Letzter Abruf: 07.12.2023)
  • Guyatt, G.H. et al.: GRADE: an emerging consensus on rating quality of evidence and strength of recommendations. In: BMJ 2008, 336: 924

Letzte Aktualisierung: 09.12.2023