Interview mit Prof. Dr. Tobias Welte - Lungenschäden durch Lungenentzündungen
Als Folge von Lungenentzündungen erleiden Patienten häufig akute Lungenschädigungen oder sogar ein akutes Lungenversagen. Trotz vielfacher Anstrengungen sind Lungenentzündungen weiter weltweit mit einer relativ hohen Sterblichkeit verbunden. Der Lungeninformationsdienst sprach mit dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin, Prof. Dr. Tobias Welte, über aktuelle Therapieansätze und den Stand der Forschung zur Behandlung schwerer Lungeninfektionen.
Herr Prof. Welte, Lungenentzündungen stellen weltweit ein immenses Gesundheitsproblem da. Woran liegt das, warum hat die Medizin das nicht längst in Griff bekommen?
Lungenentzündung ist die weltweit am häufigsten zum Tode führende Infektionskrankheit. Wir haben uns mit der Entwicklung der Antibiotika immer der Erwartung hingegeben, solche Formen von Infektionskrankheiten überwinden zu können. Das hat sich als falsch herausgestellt. Dafür gibt es im Wesentlichen drei Gründe: erstens haben viele dieser Erreger, vor allem die Pneumokokken, sehr viele verschiedene krankmachende Eigenschaften, zweitens schreitet die Erkrankung meist sehr schnell fort, und drittens beginnt man trotz bester Diagnostik und Therapie oft viel zu spät mit der Therapie und daraus entwickeln sich dann diese akuten Lungenschäden.
Sind denn solche gravierenden Lungenschäden nach der Infektion noch heilbar?
Wir haben es hier mit einem akuten und einem chronischen Problem zu tun. Im Rahmen der Infektion und vor allen Dingen im Rahmen der Heilphase kann es zu schwerwiegenden Störungen in der Lunge kommen, die dann Beatmung und andere intensivmedizinische Maßnahmen notwendig machen. Wenn man diese Phase überstanden hat, stehen weitere intensivmedizinische Maßnahmen im Vordergrund wie die Entwöhnung von der Beatmung und ähnliches. Zudem können Zweitinfektionen und Krankenhausinfektionen auftreten, die ihrerseits die Lunge chronisch schädigen können. Chronische Schäden als direkte Folge der Erreger, die für normale Pneumonien verantwortlich sind, sind aber eigentlich selten.
Welches sind die wichtigsten Therapieschritte bei diesen akuten Folgen einer Lungenentzündung?
Primär sollte die Diagnostik einer Lungenentzündung mit einem Röntgenbild gesichert werden. Dann beginnt man eine antibiotische Therapie. Dann gilt es, den Patienten genau zu überwachen: Erhöht sich die Atemfrequenz, so ist das ein Zeichen für zunehmende Luftnot. Bleibt der Kreislauf stabil, und bleibt der Patient wach und orientiert? Verwirrtheit ist immer ein Zeichen für eine schwerere Infektion.
Wenn diese Zeichen einer schwereren Infektion auftreten, ist die Sauerstoffsättigung zu prüfen. Bei kritischem Sauerstoffmangel braucht man intensivmedizinische Überwachung, ggf. muss die Lungenfunktion primär über eine Beatmung ersetzt werden.
Die mittlere Sterblichkeit bei Patienten, die mit Lungenentzündungen, ins Krankenhaus kommen, liegt nach Ihrer Schätzung bei 11 bis 12 Prozent. Angesichts dieser Dramatik forschen Sie und Ihre Kollegen im Deutschen Zentrum für Lungenforschung (DZL) intensiv an neuen Therapieansätzen. Welche sind das im Einzelnen?
In der Tat haben wir es mit einer außerordentlich hohen Todesrate zu tun.
Wir forschen auf ganz verschiedenen Ebenen. Primär – mehr im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung – wollen wir neue, schneller wirksame antibiotische Substanzen entwickeln. Zudem läuft in einer Reihe von klinischen Studien momentan der Versuch, immunmodulierende Substanzen zu finden, die die krankmachenden Eigenschaften von Bakterien binden können. Dazu läuft derzeit eine große Studie mit einer neuen Form von Immunglobulinen.
Außerdem versuchen wir derzeit, über ein genetisches Screening Hochrisikopatienten zu identifizieren. Ziel ist es, Patienten, die aus verschiedenen Gründen besonders von einem schwereren Verlauf bedroht sind, frühzeitig breiter antibiotisch zu behandeln und besser zu überwachen.
Sie meinen also einen präventiven Ansatz?
Genau. Die Wunschvorstellung ist, dass man eine Reihe gentischer Risikofaktoren ermittelt. So könnte ein Patient, der mit Lungenentzündung in die Ambulanz kommt, einen genetischen Fingerprint bekommen. Wenn er sich als Hochrisikopatient herausstellt, wird er von vorneherein anders betreut.
Besteht dann nicht die Gefahr, dass sich in den Krankenhäusern Antibiotika-Resistenzen noch weiter ausbreiten?
Das Thema Antibiotika-Resistenzen ist auf jeden Fall sehr ernst zu nehmen. Daher stehen vor allem Maßnahmen im Vordergrund, nur die Patienten antibiotisch zu behandeln, die wirklich eine bakterielle Infektion haben. Hier könnten neue – PCR basierte – diagnostische Verfahren und neue Biomarker helfen.
Stichwort Immunglobuline – Die Erregervielfalt bei Pneumonien ist ja nicht unerheblich, können denn Immunglobuline diese Bandbreite abdecken?
Richtig. Deshalb brauchen Sie solche neuen Immunglobuline, die nicht nur einen, sondern ganz verschiedene krankmachende Eigenschaften binden, die typisch für verschiedene Erreger sind, beeinflussen. Bei der ambulant erworbenen Pneumonie ist die Sache allerdings eindeutig, Streptococcus pneumoniae, Pneumokokken, ist der wesentliche Erreger.
Wird eine solche Behandlung mit Immunglobulinen ein für die Vielzahl der Patienten bezahlbarer Therapieansatz werden?
Noch stehen wir im Zulassungsverfahren, insofern kennen wir noch keinen Preis. Aber wenn sich bestätigen sollte, dass die Behandlung hilft, wird sie sicher sehr teuer werden. Deswegen wird sie sicher nur für Patienten in Frage kommen, die eine besondere Risikokonstellation haben bzw. die besonders schwer krank sind.
Welche Forschungsansätze zur Regeneration von geschädigtem Lungengewebe verfolgen Sie?
Eines der großen Probleme bei schweren Lungenentzündungen liegt ja darin, dass es häufig in der Heilungsphase zu Störungen kommt. Die erregerbedingten Infiltrate werden nicht gut abgebaut und wir suchen nach Möglichkeiten, wie wir diesen Abbau und die Regeneration von normalem Lungengewebe verbessern können. Da gibt es ganz verschiedene Wege: Wir wissen, dass bestimmte Zellen, die lungenständigen Monozyten, die Makrophagen, stark für den Abbau dieser Infiltrate verantwortlich sind. Ihren Einstrom in die Lunge kann man z.B. mittels Makrophagen–Wachstumsfaktoren stimulieren. Wir wissen aber auch, dass diese Makrophagen, wenn sie zu lange und in zu hoher Zahl in der Lunge sind, wieder schädliche Effekte haben. Das muss also ein Kurzzeiteffekt sein.
Man kann die Funktionsweise der Makrophagen durch Stimulation von Oberflächenrezeptoren beeinflussen. Ein Steuerungsfaktor, den wir in Hannover besonders untersuchen, ist TRAIL – ein Rezeptor auf neutrophilen Granuloyzten und Makrophagen. Stimuliert man diesen, geht der Abbau dieser Infiltrationen effektiver vonstatten.
Ein Hoffnungsträger in der Medizin sind in diesem Zusammenhang ja Stammzellen – auch für die Regeneration der Lunge nach akuten Lungenschäden?
Auch hier suchen wir natürlich nach Möglichkeiten, geschädigtes Lungengewebe durch gesundes zu ersetzen. Denn im Prinzip ist die Lunge ja nicht regenerierbar. Erste Untersuchungen mit Vorläuferzellen von Lungengewebe finden bereits statt unter Verwendung verschiedener Sorten von Stammzellen. Dazu haben sich vor allem die Arbeitsgruppen hier bei uns in Hannover um Prof. Martin und bei Prof. Voswinckel am Max Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim zusammengetan. Gemeinsam wollen wir Möglichkeiten einer Stammzelltherapie untersuchen. Aber das sind Voruntersuchungen, die noch an einem sehr frühen Punkt ihrer wissenschaftlichen Entwicklung stehen.
Hand aufs Herz - Wann können Patienten frühestens damit rechnen, dass sie direkten Nutzen aus Ihren Forschungsergebnissen ziehen?
Ich sehe hier verschiedene Zeitfenster. Zum Beispiel kann der Einsatz von spezialisierten Immunglobulinen tatsächlich schon innerhalb von zwei bis fünf Jahren Realität werden. Der Einsatz von Wachstumsfaktoren, wie TRAIL als Effizienzsteigerer hat sicher eine längere Zeitschiene von etwa zehn Jahren. Beim Einsatz von Stammzellen dagegen kann man, wenn man ganz realistisch ist, frühestens in 10 bis 20 Jahren mit einer Entwicklung rechnen.
Letzte Frage – CAPNETZ, ein Forschungsverbund zu ambulant erworbenen Pneumonien, ist seit kurzem Partner im Deutschen Zentrum für Lungenforschung. Was erwartet man sich davon?
CAPNETZ ist hervorgegangen aus einem Kompetenznetzwerk der Medizin, das vom BMBF über ein Jahrzehnt gefördert worden ist. Heute ist CAPNETZ eine Stiftung, welche die weltweit größte Daten- und Materialbank von Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie ganz unterschiedlicher Schweregrade bereithält. Mehr als 10.000 Patientenverläufe sind über längere Zeit nachverfolgt worden. Es gibt beispielsweise ein Follow-up nach sechs Monaten und verschiedenste Materialien, mikrobiologische sowie Blut- und Urinproben aller Patienten. Damit stellt CAPNETZ eine ideale Daten- und Materialsammlung dar, an der neue Ideen, die im DZL geboren werden, verifiziert werden können.
Vielen Dank für das Gespräch!
Prof. Dr. Tobias Welte ist Direktor der Klinik für Pneumologie an der Medizinischen Hochschule Hannover.
Das Gespräch führte Ulrike Koller, Helmholtz Zentrum München, Lungeninformationsdienst.