Gehörschonendes Antibiotikum
Aminoglykoside sind Antibiotika zur Behandlung von Tuberkulose-Infektionen mit multiresistenten Erregern. Dass die Behandlung zu bleibendem Hörverlust bis hin zu Taubheit führen kann, schränkte ihre Anwendung bislang ein. Jetzt haben Forscher ein Aminoglykosid entdeckt, das diese hörschädigende Wirkung nicht besitzt.
Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO gibt es jährlich rund 440.000 neue Fälle von Tuberkulose, bei denen die krankheitsauslösenden Mycobakterien unempfindlich gegen die üblichen Antibiotika sind. Bei solchen multiresistenten Tuberkulosen gehören die Aminoglykoside zu den wichtigsten Reserve-Antibiotika. Aber auch zur Behandlung von Mukoviszidose-Patienten mit bakterieller Lungeninfektion werden sie häufig eingesetzt.
Aminoglykoside binden im Inneren von Bakterienzellen an die so genannten Ribosomen, verhindern dort die Herstellung von Proteinen und töten so eine Vielzahl verschiedener Bakterien sehr effektiv ab. Doch leider kann die Behandlung mit gravierenden Nebenwirkungen einhergehen, die insbesondere das Gehör betreffen und zu einem irreversiblen Hörverlust führen. Diese Ototoxiziät wird offenbar dadurch bedingt, dass die Antibiotika auch an die Ribosomen von menschlichen Mitochondrien, den Kraftwerken der Zelle, binden.
Der Zusammenhang zwischen Aminoglykosiden, mitochondrialen Ribosomen und Hörschäden, beschäftigt Erik Böttger und sein Team an der Universität Zürich schon seit Jahren. Ziel der Forscher war es, ein Aminoglykosid-Antibiotikum zu entwickeln, das die vor allem bei längerfristiger Anwendung häufig auftretenden Nebenwirkungen am Gehör nicht besitzt. Jetzt wurden die Wissenschaftler fündig: Apramycin, ein bis dato nur in der Tiermedizin verwendetes Aminoglykosid, weist genau die gewünschten Eigenschaften auf.
So konnten die Wissenschaftler in einer Reihe von Experimenten zeigen, dass Apramycin verschiedene menschliche Krankheitserreger effektiv bekämpft, darunter auch multiresistente Stämme von Mycobacterium tuberculosis, aber nur sehr geringe Schäden am Gehör verursacht. Ob das strukturell einzigartige Antibiotikum tatsächlich beim Menschen eingesetzt werden kann, muss aber erst in einer klinischen Studie untersucht werden. Entscheidend ist für Böttger aber, dass es möglich ist, „die bakterizide Wirkung eines Aminoglykosids von seinem Gehör schädigenden Nebeneffekt zu trennen.“ Denn damit steht der Entwicklung neuer, weniger toxischer Vertreter dieser wichtigen Antibiotika-Gruppe nichts mehr im Wege.
Quelle:
Matta, T. et al.: Dissociation of antibacterial activity and aminoglycoside ototoxicity in the 4-monosubstituted 2-deoxystreptamine apramycin. In: PNAS, 14. Juni 2012, published online before print. Doi: 10.1073/pnas.1204073109
http://www.pnas.org/content/early/2012/06/13/1204073109.abstract