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Experten-Interview zur Lungenentwicklung

Dr. Anne Hilgendorff leitet am Comprehensive Pneumology Center (CPC) in München die Forschungsgruppe „Mechanismen der neonatalen chronischen Lungenerkrankung.“ Wir sprechen mit ihr über mangelnde Lungenreife bei Frühgeborenen, die daraus resultierenden Probleme und die generelle Bedeutung der Lungenentwicklung bei Lungenerkrankungen.

Frau Hilgendorff, Sie forschen über Lungenentwicklung bei frühgeborenen Kindern. Warum gerade dieses Thema?

Ich bin selbst Neonatologin und arbeite in der Klinik tagtäglich bei den Frühgeborenen auf der Intensivstation, aber auch in der Nachsorge. Bei meiner Forschungstätigkeit versuche ich herauszufinden, was in den Lungen der Kinder schief läuft, aber auch was man dagegen tun kann. Dazu sollte man wissen, dass Frühgeborene eine der Hauptpatientengruppen in der Pädiatrie sind, und wir uns insbesondere um die Entwicklung der Lunge und des Gehirns bemühen, um eine gute Langzeitentwicklung für die Kinder zu ermöglichen.

Was läuft denn in den Lungen der Frühchen schief?

Ihre vorgeburtliche Lungenentwicklung ist nicht abgeschlossen, insbesondere die Alveolarisierung, also die Bildung funktionstüchtiger Lungenbläschen. Auch das Surfactant-System - also die Herstellung von Proteinen, die verhindern, dass die Lungenbläschen beim Ausatmen zusammen fallen - macht in den letzten Wochen zum Ende der normalen Schwangerschaftsdauer noch einmal einen Entwicklungsschub. Weil ihre Lungen also weder strukturell noch funktionell ausgereift sind, müssen viele Kinder nach ihrem zu frühen Start ins Leben beatmet werden – oft über längere Zeit. Das kann aber, wie wir inzwischen gelernt haben, in diesem kritischen Stadium offenbar einen Stein für Probleme bei der Lungenentwicklung ins Rollen bringen, der sich zumindest bislang nur schwer oder gar nicht aufhalten lässt. So kommt es bei vielen dieser Kinder zu bleibenden Lungenschäden. Dieses Krankheitsbild der bronchopulmonalen Dysplasie erforscht unsere Arbeitsgruppe am CPC.

Dazu benutzen Sie ein Tiermodell, das speziell dafür entwickelt wurde?

Ja, das habe ich von meiner vorherigen Tätigkeit an der Stanford University mitgebracht. Gute Tiermodelle sind für die Erforschung der Lungenentwicklung unabdingbar. Denn um diese Vorgänge beim Menschen zu untersuchen, müsste man Gewebeproben entnehmen, und das verbietet sich ohne medizinischen Grund, insbesondere bei Frühchen. In unserem Tiermodell können wir neugeborene Mäuse beatmen, deren Stadium der Lungenentwicklung der frühgeborenen Lunge entspricht, schauen, was in ihren Lungen passiert – und wie wir helfen können.

Welche Erkenntnisse konnten Sie bereits gewinnen?

Wir wissen, dass es bei der Beatmung zu einem Stopp der Alveolarisierung und der Ausbildung von kleinen Blutgefäßen kommt – die Lungen bleiben sozusagen in einem unreifen Stadium stehen. In einem unserer Projekte erforschen wir, welche Rolle ein bestimmter Wachstumsfaktor, der so genannte platelet-derived growth factor, bei diesem Prozess spielt. Im Großen und Ganzen geht es bei unserer Arbeit darum, die Mechanismen hinter den Lungenveränderungen zu verstehen und so Ansatzpunkte für Therapien zu identifizieren, die verhindern, dass sich eine bronchopulmonale Dysplasie überhaupt entwickelt.

Gibt es hier bereits Durchbrüche?

Bei Frühgeborenen unter Beatmung wird auch das bindegewebige Lungengerüst, die Matrix, um- und abgebaut. Daran ist die Elastase, ein Enzym, das Proteine spaltet, beteiligt. Durch die Gabe eines Elastase-Hemmers über die Luftröhre in die Lunge der neugeborenen Maus ist es uns in Stanford gelungen, den Abbau der Matrix zu unterbinden und damit die Lungenstruktur zu verbessern. Ob diese Therapie auch frühgeborenen Kindern nützt, muss in weiteren Studien geprüft werden.

Eine solche Behandlung ist also noch Zukunftsmusik?

Im Moment ja. Generell besteht beim Verständnis der Entwicklungsprozesse des respiratorischen Systems noch Nachholbedarf, und zwar nicht nur bei den Vorgängen vor der Geburt sondern auch danach. Gerade in den ersten vier Lebensjahren passiert sehr viel in der Entwicklung der Lungenstruktur. Und zwar nicht nur Gutes, denn auch schädigende Einflüsse hinterlassen in dieser Zeit eine nachhaltige Wirkung. Anders gesagt: Je mehr am Anfang falsch läuft, desto größer ist das Risiko, dass man dies später im Erwachsenenalter mit Problemen von Seiten der Lunge „bezahlt“. Wichtige Prozesse im Rahmen der Lungenentwicklung zu verstehen hilft also auch, die Mechanismen anderer Lungenerkrankungen zu verstehen. Hierdurch können mögliche Wege gefunden werden, normale Entwicklungsprozesse in diesen erkrankten Lungen wieder zu aktivieren, die dann zur Heilung beitragen könnten.