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Experteninterview mit Prof. Dr. Martin Reck

Aktuell hat der Lungeninformationsdienst das Schwerpunktthema Diagnose von Lungenerkrankungen gesetzt. Lesen Sie anknüpfend daran ein Interview mit dem Experten Prof. Dr. Martin Reck von der LungenClinic Grosshansdorf.

Sehr geehrter Herr Prof. Reck, in einer aktuellen Studie beschreiben Sie eine neue diagnostische Möglichkeit, bestimmte Mutationen bei Lungenkrebs aufzudecken. Was hat es damit auf sich?

Bei 10-15 Prozent aller Patienten mit einem fortgeschrittenen Lungenkarzinom finden sich bestimmte Mutationen in den Tumorzellen, die sich durch zielgerichtete Therapien sehr erfolgreich behandeln lassen. Bisher gelang der Nachweis dieser Mutationen nur bei Gewebeproben. Jetzt gibt es auch die Möglichkeit durch hoch sensitive Nachweisverfahren diese Mutationen anhand im Blutstrom zirkulierender Tumor-DNA (ctDNA) nachzuweisen. Diese wird durch den Zerfall von Krebszellen an das Kreislaufsystem abgegeben. Das hat den Vorteil, dass man mit einer „einfachen“ Blutprobe anstelle einer manchmal sehr aufwendigen Gewebebiopsie diese für den Patienten relevante Diagnostik durchführen kann.

Welche Aussage konnten Sie im konkreten Fall treffen und wo liegt der Vorteil gegenüber dem bisherigen Vorgehen?

Wir haben etwa 1300 europäische und japanische Patienten mit einem fortgeschrittenen Lungenkarzinom auf eine therapierelevante Mutation des „Epidermal Growth Factor Receptors“ (EGFR) mit Hilfe einer Gewebetestung und einer Bluttestung untersucht. Die entscheidende Frage war, inwieweit das Ergebnis der Gewebetestung mit dem Bluttest übereinstimmt oder inwieweit der Bluttest möglicherweise die Gewebetestung ersetzen kann. Bei etwa 90 Prozent der Patienten fand sich eine Übereinstimmung zwischen den beiden Testverfahren. Allerdings war die Empfindlichkeit des Bluttestes auf das Vorliegen der Mutation mit einer Sensitivität von etwa 50 Prozent begrenzt, was im Wesentlichen daran lag, das in dieser Beobachtungsstudie sehr viele qualitativ unterschiedliche Testverfahren genutzt wurden.

Welche Möglichkeiten bietet das neue Diagnoseverfahren?

Durch die standardisierte Verwendung von kontrollierten empfindlichen Verfahren ist die Testung auf das Vorliegen einer EGFR-Mutation eine klinisch sehr wichtige Ergänzung der konventionellen Testung an der Gewebeprobe. Gerade bei Patienten mit einem Lungenkarzinom lassen sich nicht immer aussagekräftige Gewebeproben gewinnen und wenn, ist der Eingriff häufig mit einem hohen Risiko verbunden – insofern ist diese neue Form der molekularen Diagnostik sehr wertvoll.

Neben der Diagnostik zu Beginn der Behandlung ist dieses Verfahren auch sehr attraktiv, um Resistenzmechanismen zu finden, die der Tumor im Laufe der Therapie entwickeln kann. Aufgrund von neuen therapeutischen Möglichkeiten hat das eine erhebliche klinische Relevanz.

Ist die Methode schon marktreif bzw. was muss noch geschehen?

Die molekulare Testung auf das Vorliegen einer EGFR-Mutation durch eine „liquid biopsy“ zu Beginn der Therapie ist mittlerweile in den meisten Abteilungen, die eine molekulare Pathologie vorhalten verfügbar. Gleiches gilt für die Testung auf eine zweite resistenzvermittelnde Mutation im Verlauf der Therapie.

Über die Deutsche Pathologische Gesellschaft wurde in den letzten Jahren ein Ringversuch zur Sicherung der Qualität durchgeführt.

Wo liegen die Grenzen des Verfahrens?

Das Verfahren der „Liquid Biopsy“ ist aufgrund der einfachen Verfügbarkeit sehr attraktiv. Es wird in den nächsten Jahren zu einem festen Baustein der molekularen Diagnostik werden, zumal durch zunehmend sensitivere Verfahren neben der EGFR-Mutation auch weitere therapierelevante Veränderungen getestet werden können, die den Krebs begünstigen.

Eine Grenze des Verfahren liegt sicherlich in der Konzentration der Tumor-DNA, die generell gering ist und die bei geringer Tumorlast auch so erniedrigt sein kann, dass existierende Veränderungen mit diesem Verfahren nicht mehr nachgewiesen werden können.

Sehen Sie weitere interessante diagnostische Verfahren „in der pipeline“?

Neben der Diagnostik von zirkulierender DNA im Blut gibt es neue, sehr vielversprechende Ergebnisse auch in anderen Körperflüssigkeiten wie z.B. Urin oder Liquor, die die Diagnostik des Lungenkarzinoms entscheidend bereichern können.

Darüber hinaus ist natürlich das ganze Gebiet der Markerdiagnostik um die Immuntherapie mit einer Fülle von gewebe- und blutbasierten Markern von absolut dominanter Bedeutung, um diese faszinierende Behandlung weiter zu entwickeln.

Herzlichen Dank für Ihre Antworten!

 

Prof. Dr. Martin Reck arbeitet und forscht an der LungenClinic Grosshansdorf, Partner im Deutschen Zentrum für Lungenforschung (DZL). Er beschäftigt sich intensiv mit dem Lungenkarzinom und der entsprechenden Therapieentwicklung: Besonders durch genetische Veränderungen entstandene Tumore an der Lunge lassen sich heute sehr gezielt und wirksam behandeln. Auch die Hemmung der Gefäßneubildung bietet Therapiechancen. Dahinter versteckt sich das Wissen darüber, dass Tumore ab einer bestimmten Größe Blutgefäße zur Ernährung und zum Wachstum benötigen. Diese Neubildung von Blutgefäßen kann heute medikamentös blockiert werden. Vielversprechend ist auch die Immuntherapie, mit der durch eine Krebserkrankung lahmgelegte körpereigene Abwehrmechanismen wieder aktiviert werden können. „Damit bietet sich für die Behandlung von Patienten eine völlig neue Perspektive“, so Prof. Reck.

  

Fachpublikation:
Reck, M. et al.: Circulating Free Tumor-derived DNA (ctDNA) Determination of EGFR Mutation Status in European and Japanese Patients with Advanced NSCLC: the ASSESS Study. In: Journal of Thoracic Oncology, doi: 10.1016/j.jtho.2016.05.036