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Eine kranke Lunge wieder aufbauen - Das Experten-Interview

Vor kurzem fand im portugiesischen Estoril die Lung Science Conference, die Wissenschaftskonferenz der European Respiratory Society statt. Melanie Königshoff vom Comprehensive Pneumology Center in München war vor Ort dabei und hat auch das Programm zusammengestellt. Wir sprechen mit ihr über die Highlights.

Frau Königshoff, Sie haben in diesem Jahr das Programm der Lung Science Conference der European Respiratory Society in Estoril als Programmkoordinatorin organisiert. Worum ging es?

Die Konferenz hatte den Titel „Rebuilding a diseased lung: repair and regeneration”. Im Fokus stand die Frage, ob und wie man eine erkrankte Lunge wieder aufbauen kann indem man neues, gesundes Lungengewebe generieren kann. Und zwar sowohl innerhalb des Körpers, in dem man bei Lungenschäden Reparatur- und Regenerationsprozesse anregt, als auch außerhalb, das heißt durch die Züchtung von Organersatz im Labor - das so genannte Tissue Engineering.

Sie waren an der Gestaltung des Konferenzprogramms beteiligt. Warum wurde gerade dieses Thema gewählt?

Weil es die Behandlung von chronischen Lungenerkrankungen wie COPD oder Lungenfibrose entscheidend voran bringen kann. Wissenschaftler und Kliniker möchten herausfinden, wie man es schafft, die zerstörerischen Prozesse in einer erkrankten Lunge zu stoppen, bzw. wieder zu heilen Solche kurativen Therapieansätze stehen bei chronischen Lungenerkrankungen bislang leider nicht zur Verfügung. Gerade im letzten Jahr gab es im Bereich Stammzellen und Tissue Engineering aber neue Erkenntnisse, die uns da einen großen Schritt voran gebracht haben. Deshalb hat sich das Thema für die Konferenz fast schon aufgedrängt.

Welche neuen Erkenntnisse meinen Sie?


Ein möglicherweise entscheidender Durchbruch war, dass amerikanische Wissenschaftler erstmals auch Stammzellen in der menschliche Lunge nachweisen konnten. Die sich, wenn man sie in Mausmodellen untersucht, laut der Studie zu den verschiedenen Typen von Lungenzellen umzuwandeln. Dieses Ergebnis wird zwar momentan kontrovers diskutiert und muss noch bestätigt werden. Doch auch andere Studien machen mehr und mehr deutlich, das verschiedenen endogene Vorläuferzellen in der Lunge existieren. Jetzt gilt es herauszufinden, wie man diese Vorläuferzellen dazu bringt, sich zu funktionsfähigen Lungengewebe auszudifferenzieren.

Was es dann erlauben würde, krankes und geschädigtes Lungengewebe zu regenerieren?

Im Idealfall ja. Das ist aber nur einer von mehreren möglichen Wegen. So haben mehrere Forschergruppen im Tiermodell schon gezeigt, dass man mit exogenen – das heißt von außen verabreichten – Stammzellen, krankes Lungengewebe zur Reparatur bewegen kann. Und zwar bei diversen Lungenerkrankungen. Die dritte Option, die auf der Konferenz ebenfalls ein großes Thema war, ist das Tissue Engineering.

Im Labor eine neue Lunge wachsen zu lassen, die dann dem Patienten transplantiert wird – das klingt nach Science Fiction?

Momentan ist es sicherlich noch Zukunftsmusik, aber für unrealistisch halte ich diese Möglichkeit nicht. Zumindest im Tierversuch funktioniert es ja schon, wie ein amerikanisches Forscherteam um Laura Niklason demonstrieren konnte. Wissenschaftler aus dem Labor haben auf der Konferenz dazu Ergebnisse vorgestellt, bei denen Ratten die Lunge entnommen und dann alle lebenden Zellen entfernt wurden, so dass nur noch das Bindegewebsgerüst übrig war. Auf dieser Matrix haben sie dann in einem Bioreaktor durch Zugabe von Vorläuferzellen tatsächlich eine Lunge gezüchtet. Die implantierte Lunge erfüllte in den Versuchstieren über einen kurzen Zeitraum bereits die wichtigste Organfunktion, den Gasaustausch. Einig sind sich jedoch alle beteiligten Wissenschaftler, dass noch intensive Forschung nötig ist, bevor diese Technologie Patienten zu Gute kommen könnte.

Die Lunge besteht aber doch aus einer Vielzahl verschiedener Zelltypen. Was bringt eine Vorläuferzelle dazu, sich beispielsweise zu einer Bronchialepithelzelle auszudifferenzieren - und zwar genau an dieser Stelle?

Das ist im Moment noch die große Frage. Eine Hypothese, die in immer mehr Studien aufgeworfen wird, lautet, dass das Bindegewebsgerüst an der Informationsvermittlung essenziell beteiligt ist. Wie das passiert, weckt gerade intensives Forschungsinteresse. Das zeigen die vielen Abstracts, die für den Kongress zu diesem Thema eingereicht wurden. Eine wichtige Erkenntnis der neueren Arbeiten ist klar: Stammzellen werden durch ihre Umgebung beeinflusst, sich in die richtige Richtung zu differenzieren – also das zu machen, was sie machen sollen. Jetzt geht es darum, die dahinter stehenden Mechanismen und Signalwege zu entschlüsseln. Denn das ist die entscheidende Voraussetzung für die Entwicklung regenerativer Therapien in der Lungenheilkunde.

Das klingt so, als stünde die Forschung noch ziemlich am Anfang.

Man muss klar und deutlich sagen, dass auf dem Gebiet Stammzellen, Regeneration, Tissue Engineering wissenschaftlich noch vieles in den Kinderschuhen steckt, aber das Gebiet wächst enorm. Sehr viele Forscher haben erkannt, wie wichtig es ist, hier voran zu kommen, damit die Behandlung chronischer Lungenerkrankungen einschneidend verbessert werden kann. Und auch wie wichtig dabei eine enge Zusammenarbeit zwischen Grundlagenforschung und klinischer Forschung ist, weil beide Seiten viel voneinander lernen können – und müssen. Hier den Austausch zu fördern, war eines der Ziele der Konferenz in Portugal – und ich denke, das ist auch gelungen.

Gab es dort etwas, das Sie besonders inspiriert hat, auch im Hinblick auf Ihre eigene Forschungsarbeit?

Sehr spannend fand ich die vielen Studien zu der Frage, was passiert, wenn man Stammzellen nicht auf ein gesundes sondern auch ein krankes Lungengerüst gibt. Denn das ist beim Patienten ja der Fall. Die momentane Datenlage legt nahe, dass sich Stammzellen in einem kranken Gewebe auch in die „falsche“ Richtung entwickeln können. In München untersuchen wir, wie sich körpereigene Reparaturvorgänge und Signalwege bei Lungenerkrankungen anregen lassen. Zu wissen, wie das kranke Lungengerüst und Zellen durch diese Signalwege beeinflusst werden und dann interagieren, ist extrem wichtig, um zu verstehen, was wir am Patienten zu erwarten haben. Über diese komplexen Vorgänge kann man auch beim Tissue Engineering dazulernen, weil sich einzelnen Komponenten, also zum Beispiel Bindegewebsgerüst, Zellen und Wachstumsfaktoren, gut variieren lassen. Gemeinsam helfen diese Ansätze also dabei, mehr über die Prozesse und Signalwege, die bei den verschiedenen Krankheitsbildern von Bedeutung sind, zu erfahren.

Wann wird es möglich sein, Lungenerkrankungen mit Stammzellen zu heilen?

Das ist schwer zu sagen, auch wegen der damit verbundenen ethischen Fragestellungen. Regenerative Therapieansätze sind aber kein Wunschtraum, sondern inzwischen eine realistische Perspektive. Ich bin jedenfalls optimistisch, dass es in den nächsten Jahren entscheidende Fortschritte in der Behandlung von Lungenerkrankungen gibt. Und auch bei vielen anderen Lungenforschern ist diese Hoffnung da – das war auf der Konferenz deutlich zu erkennen.